- Auftakt
30 Jahre «Langfristige Waldökosystem-Forschung»: Synthese und Ausblick
26.02.2025

Auftakt
Abstract
Wälder haben eine essenzielle Bedeutung für die Biodiversität, die Klimaregulation und weitere Ökosystemleistungen. Das Programm «Langfristige Waldökosystem-Forschung» der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL hat im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte wertvolle Erkenntnisse über die komplexen Wechselwirkungen zwischen biotischen, abiotischen und anthropogenen Faktoren gewonnen. Luftverschmutzung und Klimawandel stellen eine erhebliche Belastung für die Wälder dar, was zu Bodenversauerung, Nährstoffungleichgewichten und erhöhter Baumsterblichkeit führt. Technologische Innovationen wie Fernerkundung, Echtzeitüberwachung und Machine Learning machen detaillierte Analysen möglich, die ein verbessertes Verständnis der Waldökosystemprozesse unter verschiedenen Klimaszenarien zulassen. Die Ergebnisse aus drei Jahrzehnten «Langfristige Waldökosystem-Forschung» lieferten wertvolle Leitlinien für Entscheidungsträgerinnen und Waldbesitzer. Angesichts der steigenden Umweltbelastungen ist die Erhaltung resilienter Wälder entscheidend, um ihre Schutz- und Regulierungsfunktionen langfristig zu sichern.
Schweiz Z Forstwesen 176 (2): 64–67.https://doi.org/10.3188/szf.2025.0064
* Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf, E-Mail marcus.schaub@wsl.ch
Wälder sind unverzichtbare Ökosysteme, welche die Biodiversität unterstützen, das Klima regulieren und weitere wichtige Ökosystemleistungen bereitstellen. Das Programm «Langfristige Waldökosystem-Forschung» (LWF) hat komplexe Dynamiken aufgedeckt, welche die Gesundheit der Wälder beeinflussen und das Zusammenwirken biotischer, abiotischer und anthropogener Faktoren verdeutlichen. In dieser Sondernummer beleuchten wir die wichtigsten Erkenntnisse aus umfangreichen Überwachungs- und Forschungsarbeiten der letzten 30 Jahre und heben die Herausforderungen und Chancen hervor, Waldökosysteme angesichts der doppelten Belastung durch Luftschadstoffe und Klimawandel nachhaltig zu fördern.
Überwachung der Waldgesundheit
Seit 1984 ist die systematische Überwachung der Waldgesundheit ein Grundpfeiler der Schweizer Umweltforschung. Erste systematische und standardisierte Aufnahmen, insbesondere in der Sanasilva-Inventur und im Rahmen des Internationalen Kooperationsprogramms (Level-I-Messnetz von ICP Forests), konzentrierten sich auf die Erfassung visueller Parameter wie Blatt- oder Nadelverlust und Kronentransparenz, die ab 1990 mit der Aufnahme der Bodeneigenschaften ergänzt wurden. Diese Indizes lieferten erste Erkenntnisse zur Walddegradation, die hauptsächlich auf Luftverschmutzung und klimatische Extreme zurückgeführt wurden. Die Methoden stiessen jedoch auf Herausforderungen. Beispielsweise verwischten regionale Bewertungsunterschiede und die unspezifischen Messmethoden oft die kausalen Zusammenhänge zwischen beobachtetem Schaden und Umwelteinflüssen (Innes 1994).
Als Reaktion darauf entstand ab 1994 im Rahmen von ICP Forests das Europäische Level-II-Messnetz mit prozessorientierten Untersuchungen auf ausgewählten Flächen. Die Schweiz trägt mit dem LWF zu dieser internationalen Zusammenarbeit bei. Das LWF kombiniert die Untersuchung verschiedener ökologischer, physikalischer und chemischer Prozesse in Waldökosystemen, um ein umfassendes Verständnis ihrer Funktionsweise und Wechselwirkungen zu gewinnen. Dieser interdisziplinäre Ansatz erlaubt ein verbessertes Verständnis der Ursache-Wirkungs-Beziehungen und unterstreicht die Bedeutung von Standardisierung und Langzeitbeobachtung, um die Auswirkungen von Umwelteinflüssen auf das Waldökosystem besser zu erfassen.
Doppelte Belastung durch Luftschadstoffe und Klimawandel
Eine der zentralen Erkenntnisse des LWF war die vielschichtige Auswirkung der Luftverschmutzung. Schwefel- und Stickstoffdeposition und bodennahes Ozon erwiesen sich als bedeutende Stressfaktoren, wobei die Stickstoffeinträge oft empirisch hergeleitete kritische Werte überschritten. Dies führte zu beschleunigter Bodenversauerung, Nährstoffungleichgewichten und Nitratauswaschung, die empfindliche Waldökosysteme negativ beeinflussten. Viele der ursprünglichen Hypothesen zu Bodenversauerung, Eutrophierung und Ozonschäden konnten bestätigt und quantifiziert werden. Darauf aufbauend wurden wissenschaftlich abgestützte Massnahmen zur Eindämmung der Ursachen vorgeschlagen und international vereinbart. Trotz der Reduzierung von Schwefel- und Stickstoffemissionen durch politische Interventionen (Luftreinhalteverordnung von 1985) litten bestimmte Regionen weiterhin an unerwünschten Immissionen, was die Notwendigkeit weiterer Minderungsbemühungen unterstreicht (Meusburger et al 2025, Waldner et al 2025).
Der Klimawandel verschärft diese Bedrohungssituation zusätzlich durch veränderte Niederschlagsmuster, steigende Temperaturen und intensivere Trockenperioden. Schweizer Wälder, insbesondere in trockenen inneralpinen Tälern und auf Böden mit geringer Wasserspeicherkapazität, sind erhöhten Risiken ausgesetzt, da Bäume Schwierigkeiten haben, sich an schnell verändernde Klimaverhältnisse anzupassen (Hunziker et al 2025). Das LWF hebt hervor, dass Baumwachstumsmuster, Schädlingsdynamiken und die allgemeine Resilienz des Ökosystems eng mit diesen klimatischen Veränderungen verbunden sind (z.B. Kräuchi 1998). Studien mit Klimamodellen und Daten des ICP Forests Level I Messnetzes zeigen, dass die Geschwindigkeit temperaturbedingter Vegetationsverschiebungen die natürlichen Anpassungsfähigkeiten bestimmter Baumarten übersteigen könnte (Hanewinkel et al 2013). Dies hätte eine erhöhte Baummortalität sowie eine Beeinträchtigung der Biodiversität zur Folge und würde die Schutzfunktion der Gebirgswälder gefährden.
Innovation in der Waldüberwachung und -bewirtschaftung
Technologische Fortschritte haben die Methoden zur Überwachung von Wäldern in den letzten Jahrzehnten revolutioniert. Fernerkundung, physiologische Überwachung und Machine Learning ermöglichen Bewertungen der Baumgesundheit in Echtzeit und hochaufgelöste Analysen der Wachstumsmuster. Besonders optische Reflexionsindizes wie der Photochemical Reflectance Index (PRI), die mit Drohnen, Flugzeugen oder Satelliten erhoben werden können, haben sich in ersten Tests auf den LWF-Flächen sowohl auf Baum- als auch auf Ökosystemebene als effektiv bei der Untersuchung von Trockenstress erwiesen (siehe D’Odorico et al 2023). Kontinuierliche physiologische Messungen des Stammzuwachses und des Wasserdefizits mit Punktdendrometern in Echtzeit zeigten beispielsweise, dass vielmehr die Anzahl Wachstumstage als die Länge der Wachstumsperiode eine entscheidende Rolle für die Produktivität der Wälder spielt (Etzold et al 2022).
Die Rolle der Biodiversität und der Boden-Pflanzen-Interaktionen
Die Gesundheit der Wälder ist eng mit der Biodiversität verknüpft, und dank der Europäischen Zusammenarbeit auf dem Level-II-Messnetz von ICP Forests konnte vor Kurzem mittels neuer genetischer Methoden nachgewiesen werden, wie wichtig der Zusammenhang zwischen der Vegetation und dem Bodenmikrobiom ist. Ektomykorrhiza-Pilzgemeinschaften spielen beispielsweise eine entscheidende Rolle im Nährstoffkreislauf und in der Kohlenstoffspeicherung. Untersuchungen zeigen, dass die Zusammensetzung der Pilzgemeinschaft das Baumwachstum und die Kohlenstoffvorräte in der Biomasse erheblich beeinflussen (Anthony et al 2022).
Die grosse artspezifische und standörtliche Variabilität der Bodeneigenschaften und -durchwurzelung verdeutlicht ebenfalls die Komplexität von Waldökosystemen. Während der Dürreperioden von 2015 und 2018 zeigten Schweizer Wälder eine unterschiedliche Resilienz, unter anderem aufgrund der art- und bodenspezifischen Wasseraufnahmemuster. Solche Studien heben die Bedeutung hervor, Boden-Pflanzen-Rückkopplungsmechanismen in Waldmanagementmodelle zu integrieren, insbesondere angesichts zunehmender klimatischer Extreme.
Politische Implikationen und zukünftige Perspektiven
Die Ergebnisse aus drei Jahrzehnten LWF lieferten wertvolle objektivierbare Leitlinien für Entscheidungsträgerinnen und Waldbesitzer. Ein wiederkehrendes Thema ist die Notwendigkeit, Komplexität in Entscheidungsprozessen von Politik und Forstpraxis anzuerkennen und zu berücksichtigen, dass die Gesundheit von Wäldern durch das Zusammenwirken mehrerer, oft interagierender Stressfaktoren geprägt wird. Nachhaltige Waldmanagementstrategien müssen Biodiversität, Resilienz und die Integration langfristiger Überwachungsdaten priorisieren. Zudem sind internationale Zusammenarbeit und adaptive Rahmenbedingungen essenziell, um globale Herausforderungen wie Klimawandel und Umweltverschmutzung zu bewältigen. Programme wie ICP Forests und das Schweizer LWF unterstreichen die Bedeutung und den Nutzen von harmonisierten Methoden und unentbehrlichen Langzeitdatenreihen, um unterstützende Massnahmen für den Schweizer Wald zu fördern.
Fazit
Das 30-jährige LWF beleuchtet die komplexe Wirkungsweise von natürlichen und anthropogenen Faktoren, die Waldökosysteme beeinflussen. Von Luftverschmutzung und Klimawandel bis hin zu standortabhängigen Baumreaktionen und Biodiversität verdeutlichen die gewonnenen Erkenntnisse die Dringlichkeit, standortsspezifische und adaptive Ansätze im Waldmanagement zu verfolgen. Angesichts der zunehmenden Umweltherausforderungen sind die Einsichten aus der Schweizer Waldökosystemforschung wegweisend und leisten einen wertvollen Beitrag, Wälder als lebendige, resiliente Ökosysteme für kommende Generationen zu fördern.
Dank
An alle Feld- und Labormitarbeitenden, Flächenbetreuenden und wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die in den letzten 30 Jahren unermüdlich daran gearbeitet haben, das LWF zu einem Erfolg zu machen. Einsatz, Fachwissen und Motivation haben es ermöglicht, ein unersetzliches Forschungsnetzwerk aufzubauen, das die Grundlage für unser heutiges Verständnis von Waldökosystemen bildet.
An die zuverlässigen Feldbetreuenden und Mitarbeitenden im Labor und im Feld, die bei jedem Wetter Proben gesammelt, Instrumente gewartet und wertvolle Daten erhoben haben. Ihre Genauigkeit ist das Rückgrat dieser Forschung.
An die wissenschaftlichen Mitarbeitenden, die mit Expertise und Engagement die gesammelten Daten analysiert, interpretiert und in einen grösseren ökologischen Kontext gestellt haben. Kreative Ansätze und bahnbrechende Erkenntnisse haben dazu beigetragen, dass das LWF ein weltweit anerkanntes Forschungsprogramm ist.
An die Kantone Solothurn und St. Gallen, die Stadt Lausanne und den Nationalpark, welche die Arbeiten vor Ort unterstützt haben, sowie an die Landeigentümerinnen und Landeigentümer und ihre Bereitschaft, die Flächen für diese Untersuchungen zur Verfügung zu stellen.
An das Bundesamt für Umwelt (BAFU) sowie alle Partner im In- und Ausland, die das LWF mit fachlicher Expertise, finanziellen Mitteln oder partnerschaftlicher Kooperation unterstützen und diese wertvolle Zusammenarbeit ermöglichen.
An den Gründer, Prof. John L. Innes (1994–1999) und die nachfolgenden Leiter des LWF-Forschungsprogramms, Dr. Norbert Kräuchi (1999–2005), Dr. Matthias Dobbertin (2005–2012), Prof. Andreas Rigling (2012–2014) und Prof. Arthur Gessler (2014–heute).
Literatur
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