- Notizen
Mit Holz das Netto-Null-Ziel erreichen
16.12.2024
Notiz
Die Schweiz hat in Europa den höchsten Holzvorrat im Wald und gleichzeitig eine negative Aussenhandelsbilanz von Holzwaren von rund vier Milliarden Franken. Der heimische Rohstoff Holz kann einen wichtigen Beitrag leisten, um den Klimapfad 2040 und den Emissionszielwert von 2.0 kg CO2eq pro Quadratmeter und Jahr frühzeitig zu erreichen. Jährlich kann rund eine Million Kubikmeter mehr Holz genutzt werden – und das ohne ökologische Nachteile. Neue Bauprojekte mit herausragender CO2-Bilanz sollen als Leuchttürme dienen und seitens der öffentlichen Hand finanziell unterstützt werden. Damit können Walderhaltung, CO2-Speicherung, der Einsatz einheimischer Bauprodukte, die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie der Aufbau einer kreislauforientierten Bauwirtschaft gefördert werden. Wer klimaneutral bauen will, muss regionale Ressourcen verwenden.
* Schulweg 1, CH-3303 Münchringen bei Jegenstorf, E-Mail pgreminger@bluemail.ch
Von 1985 bis 2017 ist der Holzvorrat im Schweizer Wald um 60 Mio. m3 gestiegen und liegt heute bei rund 415 Mio. m3 (BAFU 2023). Dies entspricht einem Durchschnittsvorrat von 343 m³/ha. Deutschland führt mit einem Holzvorrat von 335m3/ha die Rangliste der EU Länder an. Insbesondere in den Bergwäldern hat der Vorrat in den vergangenen Jahren weiter zugenommen, was die Risiken für Sturm-, Trockenheit- und Hitzeschäden auch in Schutzwäldern erhöht.
Modellrechnungen ermöglichen einen Einblick in die zu erwartenden, klimabedingten Veränderungen des Schweizer Waldes.1 Schädliche Folgen zeigen sich bereits heute in den von Fichten dominierten Waldbeständen, die für die heimische Holzverarbeitungsindustrie von entscheidender Bedeutung sind. Im benachbarten Ausland sind diese Tendenzen noch ausgeprägter.
Mit 43 Prozent stellt heute die Fichte den grössten Holzvorratsanteil, gefolgt von der Buche (18%) und der Weisstanne (15%). Die klimabedingte Häufung von Hitze- und Trockenperioden beschleunigt die in den 1970er-Jahren begonnene Wende: weg von der Fichtenmonokultur, hin zu mehr Laubholz und zur standortgerechten Waldbewirtschaftung.
Die Anpassung der Wälder an den Klimawandel erfordert gemeinsame Antworten auf zentrale Fragen:
- Welche klimatauglichen Wälder wollen die Waldbesitzer, die Holzverarbeitungsindustrie und die Gesellschaft in den Agglomerationen, Tourismusdestinationen und ländlichen Gebieten?
- Wie können die Interessen der Holz- und Waldnutzerinnen und der Waldschützer miteinander in Einklang gebracht werden?
- Welchen Beitrag könnte ein differenzierter Vorratsabbau zur Reduktion der Waldschadenrisiken leisten?
- Welche Massnahmen müssten in die Wege geleitet werden?
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass rund 20 Prozent der Schweizer Waldfläche seit 50 Jahren nicht mehr bewirtschaftet worden sind (LFI4 2017).
Die klimataugliche Zukunft des Schweizer Waldes wird von Waldbesitzerinnen, Forstunternehmen, Forschung, Verwaltung und Politik als grosse Herausforderung angesehen. Eine vielfältige, standortsgerechte Baumartengarnitur soll bei der Verjüngung von Fichten dominierten Wäldern helfen, klimabedingte Schadenrisiken zu minimieren und die Versorgung der Holzindustrie mit qualitativ hochwertigem Holz sicherzustellen. Baumarten, die Klima bedingte Extremereignisse wie Hitze- und Trockenperioden ertragen und auch als Ressource für das Bauen dienen, sind gefragt.
Noch gibt es seitens der Forschung keine gesicherten Ergebnisse. Eine Baumartenvielfalt (Eiche, Bergahorn, Lärche, Douglasie usw.) ist deshalb das Gebot der Stunde, um den vom Klimawandel ausgehenden Schadenrisiken zu begegnen. Deshalb stellt die Politik den Waldbesitzern zusätzliche Gelder für die klimataugliche Anpassung ihres Waldes zur Verfügung.
Importabhängigkeit der Wachstumsbranche Holzbau
In der Schweiz sind noch nie so viele visionäre Holz- und Hybridbauten realisiert worden wie heute – und das erst noch mit Holz aus dem eigenen Wald (Abbildung 1, Greminger 2025). Neue Holzbauprodukte, Massenproduktion von Brettsperr- und Brettschichtholz und die Digitalisierung ermöglichen zukunftsweisendes Bauen mit Holz. Dies bietet die Chance, mit dem Naturbaustoff Holz (CO2-neutral/CO2-Speicher) einen Beitrag zum Netto-Null-Ziel 2050 zu leisten (Greminger 2024).
Das vermehrte Bauen mit Holz ist auch für die Schweiz mehr als begrüssenswert. Dass schätzungsweise 70 Prozent der Holzbauprodukte aus dem benachbarten Ausland importiert werden, stimmt aber nachdenklich (BAFU 2023). So bezahlten Schweizer Holzbauer ihre Importabhängigkeit während der Coronakrise mit kostentreibenden Wartezeiten und erhöhten Produktekosten.
Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit, regionaler Wertschöpfung und Unabhängigkeit von ausländischen Lieferketten blieben bis anhin ohne grosse Wirkung. Die Schweizer Aussenhandelsbilanz von Holz und Produkten aus Holz ist entsprechend negativ: 2000 betrug sie rund CHF –2.2 Mia., 2022 sogar CHF –4.4 Mia. (BAFU 2023).
2022 wurden Holzbaumaterialien im Wert von CHF 887.1 Mio. importiert, während der entsprechende Export lediglich CHF 69.3 Mio. ausmachte (BAFU 2023). Auch das Import-Export-Verhältnis bei den Holzhalbfabrikaten (CHF 164.8 Mio. vs.CHF 2 Mio.) zeigt die grosse Importabhängigkeit der Schweiz bei Bauholzprodukten. Die Tatsache, dass der Importüberschuss von Holz und Holzprodukten zwischen 2002 und 2022 sogar um rund CHF 2 Mia. angestiegen ist, repräsentiert die nachteilige, nicht nachhaltige Entwicklung.
Die Schweizer Holzverarbeitungsindustrie ist gefordert
Die Schweizer Holzverarbeitungsindustrie konnte sich auf dem internationalen Markt weder preislich noch mengenmässig oder mit Geschäftsmodellen, die auf Zusammenarbeit basieren, behaupten. Gründe dafür sind unter anderem:
- Der Weltmarkt bestimmt die Preise im Holzbauelementemarkt, was das Interesse für die industrielle Produktion im Hochpreisland Schweiz stark einschränkt.
- Mit den seit Jahrzehnten tiefen Holzpreisen hat das Interesse an der Stammholznutzung insbesondere bei den privaten Waldbesitzern abgenommen. Dementsprechend mangelt es heute auch an Investitionen in eine moderne, umweltverträgliche Holznutzungsinfrastruktur.
- Die grosse Zahl von Waldbesitzerinnen (244 000 private und rund 3500 öffentliche) erschwert die effiziente Organisation verlässlicher Lieferketten, die für eine moderne, wettbewerbsfähige Holzverarbeitungsindustrie unerlässlich sind.
- Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Nutzung des Waldes haben sich insbesondere in Agglomerations- und Tourismusregionen stark verändert. Die Bedürfnisse der Freizeitgesellschaft und das Verlangen nach sanfteren Bewirtschaftungsformen werden zunehmend höher gewichtet als das Nutzen des Holzes. Diese erschweren die Holznutzung und verursachen zusätzliche Kosten.
Solche Rahmenbedingungen erschweren den Ausbau der Schweizer Holzverarbeitungskapazitäten. Dennoch sind die Massnahmen zu deren Steigerung in einigen Schweizer Betrieben, insbesondere im Bereich Leimholzproduktion, positiv zu bewerten. Die dazu notwendigen Investitionen sind auch Dank der zur Verfügung stehenden CO2-Speicher-Kompensationsgelder möglich geworden – eine Chance, die es für die Beschleunigung des SIA-Klimaabsenkpfades 2050 zu nutzen gilt.
Chance für regionale Unternehmen
Jährlich wird 1 Mio. m3 einheimisches Holz nicht genutzt. Täte man es, könnten regionale Arbeitsplätze geschaffen, die Abhängigkeit von ausländischen Holzbauprodukten reduziert und ein Beitrag zum Erreichen des Netto-Null-Ziel bis 2050 geleistet werden. Dazu stellen sich folgende Fragen:
- Wo bleibt die Wirkung der von der öffentlichen Hand unterstützten Initiativen und Aktionen wie Woodvetia oder NFP66? Deren Ziel war es, die vielfältigen Potenziale des Rohstoffes Holz in der Schweiz besser und vermehrt zu nutzen.
- Wie setzen sich Politiker und Politikerinnen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene für die Förderung der Wertschöpfungskette Holz und deren Wettbewerbsfähigkeit ein?2
So fehlen in den vorratsreichen Wäldern im Berggebiet nach wie vor die Mittel für eine zeitgemässe Erschliessung. Seit Jahrzehnten verlangsamen und verhindern zu grosse Wildbestände (Rehe, Rothirsche und Gämsen) eine ausreichende Waldverjüngung, was sich angesichts des Klimawandels noch akzentuiert (Positionspapier 2024). Das Schaffen eines klimafitten, resilienten, naturnahen Waldes, der alles bietet, was seitens der Gesellschaft gewünscht wird (inklusive Holzproduktion), entspricht einer seit Jahrzehnten bekannten Herausforderung, die es gezielt zu bewältigen gilt.
Angesichts zunehmender Laubholzvorräte (insbesondere Buche) und abnehmender Nadelholzvorräte braucht es dringend eine Holzverarbeitungsindustrie, die auch Laubholz (Hartholz) zu Bauelementen verarbeitet. Fagus Suisse3 und dessen aktuelle Marktchancen stehen für das, was derzeit in der Schweiz möglich ist. So wurden 2022 rund 3000 m3 Laubholzprodukte (z.B. Stabschichtholz, Laubholzlamellen, Stabplatten) hergestellt. Es wäre fahrlässig zu übersehen, dass insbesondere in Deutschland die industrielle Laubholzverarbeitung vorangetrieben wird.4 Deshalb empfiehlt sich die Entwicklung einer Schweizer Lösung, die auf Pragmatismus basiert. Schliesslich stellt sich die Frage, inwieweit Anreiz- und Anschubfinanzierungen den Ausbau der Holzverarbeitungskapazitäten fördern und damit die Abhängigkeit von ausländischen Holzbauprodukten reduzieren könnten.
Bauen neu denken und realisieren
«Holznutzung für das Bauen sollten wir maximieren, um das darin enthaltene CO2 möglichst lange im Gebäude gebunden zu halten. Altholz sollte wiederverwendet und kein bautaugliches Holz aus dem Wald direkt verbrannt werden», sagt Bau- und Energieingenieur Wolfram Kübler.5 Es gilt, das Bauen unabhängig von bestehenden Lieferketten, Bauwirtschafts- und Verbandsstrukturen integral und neu zu denken. Neue, Fachgrenzen überschreitende Geschäftsmodelle sind gefragt. Bauherren, Architektinnen, Generalunternehmer, Bauunternehmen, Baustoffproduzenten, Handel, Holzverarbeiter und -händlerinnen und Waldbesitzer sind gefordert, gemeinsam, möglichst rasch und kostenwirksam tiefe Emissionszielwerte zu erreichen.
Deshalb sollen neue Bauprojekte, die den für den Klimapfad 2040 vorgesehenen Emissionszielwert gemäss SIA 390/1 bereits heute erreichen, mit einer wirkungsvollen CO2-Kompensationszahlung honoriert werden. Insbesondere bei Bauvorhaben der öffentlichen Hand soll das frühzeitige Erreichen des Emissionszielwertes 2040 (gemäss SIA390/1) ein wichtiges Selektionskriterium für die Vergabe eines Bauauftrages sein.
In der Schweizer Bauwirtschaft sind neue Organisationsformen und Strukturen gefragt, die dafür sorgen, dass der CO2-Absenkpfad des SIA nicht nur ein Papiertiger bleibt. Denn er ist ein wichtiger Beitrag zur Nutzung regionaler Ressourcen und Chancen sowie zur Steigerung der Nachhaltigkeit. Empfehlungen und Wegleitungen der SIA und kompetenter Baukommissionen können für einen raschen Wandel sorgen. Ebenso leisten Waldbesitzende mit ihrer Holzernte in öffentlichen und privaten Wäldern einen wichtigen Beitrag zum Netto-Null-Ziel der Schweiz.
Fussnoten
24.3417 Motion Ruch Daniel, Förderung der Nutzung von Schweizer Holz bei Bundesbauten
Literatur
Jahrbuch Wald und Holz 2023. Bern: Bundesamt für Umwelt
Schweizerisches Landesforstinventar. Ergebnisse der vierten Erhebung 2009–2017. Birmensdorf: Eidg. Forschungsanstalt WSL.
Denkanstösse! Ein Beitrag zu Netto Null 2050. doi:10.5281/zenodo.14510615
Beispiele zur Zielerreichung Netto-Null-2050 mit nachhaltigem Bauen. doi:10.5281/zenodo.14034190
Positionspapier: Waldverjüngung unter Druck – es besteht akuter Handlungsbedarf; Schweiz Z Forstwes 175 (5): 274–284