• Auftakt

Wildeinfluss auf Waldverjüngung nimmt in der Schweiz weiter zu

Schürfung

Auftakt

Sandro Krättli1,2,*, Harald Bugmann3, Marco Conedera4, Christof Gantner1,5, Andrea Doris Kupferschmid1,6, Simon Meier1,7, Nora Zürcher1,8, Samuel Zürcher9

1 Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere, Schweizerischer Forstverein SFV
2 Leiter Staatswald Kanton Zürich, Uster (CH)
3 Professur Waldökologie, ETH Zürich (CH)
4 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Cadenazzo (CH)
5 Waldregion 5 Toggenburg, Kanton St. Gallen, Ebnat-Kappel (CH)
6 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL, Birmensdorf (CH)
7 Leiter Jagd, Kanton St. Gallen, St. Gallen (CH)
8 Gadola AG, Rabius (CH)
9 Fachstelle Gebirgswaldpflege, Maienfeld (CH)

Abstract

Die Waldverjüngung wird in vielen Regionen durch Wildverbiss stark beeinflusst – Tendenz steigend. Trotz methodischer Herausforderungen zeigen die Studien in diesem Heft ein einheitliches Bild: Besonders die klimaresistenteren Baumarten wie Eiche, Ahorn und Weisstanne sind betroffen. Das gefährdet die Schutzfunktion und verlangsamt oder blockiert sogar die Umwandlung in baumartenreiche Mischwälder und somit die Anpassung an den Klimawandel. Vor allem in den Alpen und teilweise auch im Mittelland können die waldbaulichen Ziele nicht erreicht werden. Die verfügbaren heterogenen Daten erlauben derzeit keine detaillierte, regional differenzierte Beurteilung des Wildeinflusses. Um auch weniger starke Veränderungen ausweisen und vergleichen zu können, ist die Schaffung eines schweizweiten koordinierten Monitoringsystems erforderlich. So wird es auch in kantonsübergreifenden Wildräumen möglich, den Erfolg der Massnahmen zu beurteilen. Jagdlich wie forstlich ist genug Wissen für das Handeln vorhanden. Dringend erforderlich sind gezielte jagdliche Massnahmen zur Senkung der Wildbestände in den betroffenen Regionen, eine aktive Waldbewirtschaftung sowie eine Stärkung des konstruktiven Dialogs zwischen Jagd und Forstdienst. Zudem ist zu prüfen, welche Anpassungen an den jagdlichen und forstlichen Grundlagen, Gesetzen, Managementplänen und Umsetzungspraktiken notwendig sind, um die Ziele zeitnah zu erreichen.

Schweiz Z Forstwes 176 (3): 132–135.https://doi.org/10.3188/szf.2025.0132

* Brunnenstrasse 1, CH-8610 Uster, Email: sandro.kraettli@bd.zh.ch

Die Auswertung der kantonalen Daten und der Ergebnisse des Schweizerischen Landesforstinventars (LFI) zeigt eindeutig, dass der Wildeinfluss auf die Waldverjüngung in der Schweiz nach wie vor hoch ist und teilweise weiter zugenommen hat (Kupferschmid & Frei 2025, Kupferschmid & Abegg 2025). Betrachtet man die beiden Artikel separat, so fallen unterschiedliche Erkenntnisse auf. Die Auswertung der kantonalen gutachtlichen Beurteilungen zeigt, dass der Anteil der Waldfläche mit tragbarem Wildeinfluss in den vergangenen 10 Jahren von mehr als zwei Dritteln auf weniger als die Hälfte stark abgenommen hat. Massiv zugenommen hat der Anteil der Waldfläche, in der wildbedingt die waldbaulichen Ziele nicht erreicht werden können. Die nationale Datenreihe des LFI zeigt im Wesentlichen, dass der Druck auf die Verjüngung seit Jahren hoch ist und keine Trendwende nach unten sichtbar ist. Während der Verbiss an Eschen – vermutlich aufgrund der abnehmenden Attraktivität durch die Eschenwelke – in den letzten Jahren in einigen Regionen leicht zurückgegangen ist, nimmt er beim Ahorn weiter zu. Besonders gravierend ist der Verbiss an Weisstannen, während Buchen und Fichten vergleichsweise seltener betroffen sind – wobei in einigen Kantonen, insbesondere im Wallis und in Graubünden, selbst Fichten teilweise hohen Verbiss aufweisen. Seltenere, aber für die Adaptation der Wälder sehr wichtige Baumarten wie Linde oder Eiche sind aufgrund der dünnen Datenlage nur schwierig zu beurteilen.

Der Artikel von Gehring et al (2025) belegt einen starken und folgenschweren Einfluss des Wildverbisses auf die Waldverjüngung und zeigt auf, wie wichtig zusätzliche Daten für eine umfassende Interpretation sind. Es ist wichtig, auch Faktoren zu berücksichtigen, die im Rahmen des LFI bisher nicht erfasst werden, etwa Totverbiss und die Veränderung der Konkurrenzverhältnisse (Kupferschmid et al 2019).

Waldbauliche Folgen

Grosse Teile des Schweizer Waldes werden erheblich bis stark durch Wildhuftiere beeinflusst. Besonders im Hinblick auf die notwendige Anpassung der Wälder an den Klimawandel ist diese Entwicklung alarmierend, denn es schränkt den waldbaulichen Handlungsspielraum stark ein (Abbildung 1). Die Baumartenzusammensetzung muss sich in weiten Teilen der Schweiz in den kommenden Jahrzehnten stark verändern. Die Steuerung der Baumartenmischung ist eines der zentralen Adaptationsprinzipien des Waldbaus. Die aktuellen Daten zeigen jedoch eindrücklich, dass dieser Prozess durch Wildeinfluss auf nationaler Ebene stark behindert wird. Dadurch wird es sehr schwierig bis unmöglich, die Ziele der nationalen und kantonalen Waldpolitik zu erreichen.

Dringender Handlungsbedarf

Die aktuellen Daten zeigen keine Verbesserungen, sondern eine Stagnation auf hohem Verbissniveau oder gar teilweise eine weitere Verschärfung der Situation (Kupferschmid & Frei 2025; Kupferschmid & Abegg 2025). Die aktuellen Auswertungen bestätigen die Situationsanalyse, der zahlreiche forstliche Initiativen der letzten Jahre zugrunde liegen. Dazu gehören Fachpublikationen (z.B. Bebi et al 2023), parlamentarische Vorstösse (z.B. Postulat Reichmuth 23.3129) und Positionspapiere verschiedener Fachverbände (z.B. GWG/SFV/BWB/WaldSchweiz 2024).

Angesichts der Faktenlage müssen umgehend Massnahmen zur Verbesserung der Situation ergriffen werden. Neben einer gezielten Verbesserung der Waldstruktur ist eine konsequente, örtliche Absenkung der Wildbestände notwendig. Damit dies erfolgreich ist, muss geprüft werden, ob mit den jetzigen jagdlichen wie forstlichen (Gesetzes-)Grundlagen und Massnahmen die Ziele tatsächlich erreicht werden können. Dabei müssen auch Themenfelder diskutiert werden, die den Rahmen dieses Artikels sprengen – etwa die Überprüfung von Jagdbanngebieten, der Einfluss von grossen Beutegreifern, die Anpassung von Jagdmethoden und -vorschriften.

Es ist wichtig, die Waldverjüngung in jenen Gebieten zu fördern, in denen der Wildeinfluss tragbar ist und sich die Zielbaumarten unter günstigen Lichtverhältnissen erfolgreich entwickeln können. Dort, wo dies wegen des Wildeinflusses nicht gegeben ist, können vielerorts Verbesserungen durch gleichzeitige Intensivierung von Jagd und Verjüngungstätigkeit erreicht werden. Insbesondere in verjüngungsökologisch schwierigen und kostenintensiven Gebirgswäldern gibt es jedoch auch Situationen, in denen zunächst der Wildbestand reduziert werden muss, bevor waldbauliche Massnahmen zur Förderung der Verjüngung wieder sinnvoll sind. Andernfalls verstreicht das verjüngungsgünstige Zeitfenster direkt nach den Verjüngungsschlägen ungenutzt.

Methodische Herausforderungen, Monitoringverbesserung

Die Interpretation der LFI-Daten ist schwierig, weil die Verbissintensität den Wildeinfluss nur unzureichend widerspiegelt. Zudem wurden von Inventur zu Inventur Veränderungen in der Methodik vorgenommen, was die Vergleichbarkeit erschwert. Eine weitere zentrale Herausforderung ist die fehlende schweizweite Vergleichbarkeit der kantonalen Daten. Zumindest in den kommenden Jahren sind gutachtliche Verfahren unverzichtbar, sie müssen jedoch aussagekräftiger und national vergleichbarer werden. Während einige Kantone bereits über belastbare und kontinuierliche Zeitreihen verfügen, bestehen in anderen Regionen erhebliche Defizite.

Um eine bessere Datengrundlage zu schaffen, muss ein nationales Monitoringsystem auf drei zentralen Bausteinen aufbauen:

  • Das LFI muss rasch weiterentwickelt werden, um den Wildeinfluss künftig systematisch zu erfassen, auch wenn dies zu Mehrkosten führt.
  • Ergänzend müssen weitere wissenschaftliche Monitoringnetze geprüft werden, etwa die von Gehring et al. vorgeschlagenen Kontrollzäune, die zusätzliche Erkenntnisse über den Wildeinfluss liefern könnten.
  • Die Qualität der kantonalen Daten muss verbessert werden, und die Erhebungen müssen standardisierter und gut aggregierbar werden.

Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) hat eine koordinierende Rolle, um gemeinsam mit Forschungsinstitutionen und Fachgremien eine konsistente Lösung zu erarbeiten. Besonders die Skalierungsproblematik muss berücksichtigt werden: Grossflächige Beurteilungen reduzieren die Aussagekraft der Daten, während kleinräumige Analysen präzisere Ergebnisse liefern können. Um den Klimawandel adäquat in die Bewertungen einzubeziehen, ist das Monitoring vor allem auf jene Baumarten auszurichten, die für zukünftige klimatische Bedingungen besonders wichtig sind. Aktuell haben dies erst wenige Kantone umgesetzt; der Verzicht darauf ist fachlich jedoch nicht mehr vertretbar. Gerade die Weiterentwicklung des Monitorings mit Einbezug des Klimawandels bietet Möglichkeiten für interkantonale Vereinheitlichungen.

Die Kantone müssen ihre Ergebnisse regelmässig in national standardisierten Bewertungsstufen ausweisen, damit die Vergleichbarkeit gegeben ist. Hochwertige Zeitreihen sollten weitergeführt, gleichzeitig aber in Richtung einer Harmonisierung weiterentwickelt werden. Auch mit einem solchen nationalen Datenmodell können in den Kantonen weiterhin unterschiedliche Methoden angewendet werden, solange sie über eine gemeinsame Basis und einen einheitlichen nationalen Überbau verfügen. Das BAFU muss hierfür klare Anforderungen definieren und deren Umsetzung sicherstellen, ähnlich wie in der Forststatistik oder bei der Naturgefahrenkartierung.

Würdigung

Sicher ist: In den letzten Jahren wurden auf jagdlicher und auf forstlicher Seite Fortschritte erzielt. Zahlreiche Kantone haben grosse Anstrengungen unternommen, um die Situation besser zu erfassen und Handlungsoptionen abzuleiten. Die detaillierte Analyse der kantonalen Daten ist eine wertvolle Grundlage für eine sachliche Beurteilung der Situation und die Ableitung zielführender Massnahmen. Es gilt allen zu danken, die sich aktiv für die Thematik engagieren, insbesondere den Autorinnen und Autoren in dieser Ausgabe der SZF und den Mitgliedern der Arbeitsgruppe Wald und Wildtiere des SFV, die mit ihren Veranstaltungen, dem Fachaustausch samt fundierten Auswertungen eine faktenbasierte Diskussion ermöglichen und einen entscheidenden Beitrag zur dringend notwendigen Verbesserung der Waldverjüngung in der Schweiz leisten.

Literatur

  • Gehring E, Conedera M, Somaini Z (2025)

    Schutzzäune belegen tiefgreifende Wildeinflüsse auf die Verjüngung der Kastanienwälder. Schweiz Z Forstwesen 176 (3): 168–170.https://doi.org/10.3188/szf.2025.0168

  • Kupferschmid AD, Brang P, Bugmann H (2019)

    Abschätzung des Einflusses von Verbiss durch wildlebende Huftiere auf die Baumverjüngung. Schweiz Z Forstwes 170 (3): 125–134.https://doi.org/10.3188/szf.2019.0125

  • Kupferschmid AD, Frei E (2025)

    Einfluss des Verbisses auf die Baumverjüngung in der Schweiz: Überblick basierend auf kantonalen Daten. Schweiz Z Forstwesen 176 (3): 146–157.https://doi.org/10.3188/szf.2025.0146

  • Bebi P, Allgaier Leuch, B, Bugmann H, Conedera M, Frehner M et al (2023)

    Wildhuftiere und Waldverjüngung: Wenn die Zeit davonläuft. Schweiz Z Forstwes 174 (5): 274–279. doi:https://doi.org/10.3188/szf.2023.0274

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