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Beobachtungen im Wald sind unentbehrlich
Langfristig angelegte Experimente im Wald waren das Thema des ersten vom Institut für Terrestrische Ökosysteme organisierten Montagskolloquiums an der ETH Zürich.
01.11.2024
Montagskolloquium
Bäume wachsen langsam. Einen langen Atem braucht es auch, um die Prozesse und Entwicklungen von Waldökosystemen zu verstehen. In seiner Einführung brachte es Andreas Rigling von der ETH Zürich auf den Punkt. Die rasant ablaufenden Veränderungen der Umwelt hätten Konsequenzen für den Wald und seine Bewirtschaftung. Zukünftige Entwicklungen seien schwierig abzuschätzen. Denn Ökosysteme würden nicht linear, teilweise verzögert reagieren und mitunter zu neuen «Ökosystem-Realitäten» führen. Laut Rigling war der Umgang damit für Waldfachleute immer schon schwierig. Doch heute sei es besonders herausfordernd, weil unser Erfahrungswissen an seine Grenzen stosse.
Lange Datenzeitreihen und langfristige Experimente sind essenziell, um Veränderungen erkennen und einschätzen sowie die Dynamik und Resilienz von Ökosystemen untersuchen zu können. Für eine zukunftsorientierte Waldbewirtschaftung sind die daraus gewonnenen Erkenntnisse unabdingbar. Kurze Datenzeitreihen können demgegenüber zu Fehlschlüssen führen. Das Kolloquium war nicht den reinen Monitoringnetzwerken (Landesforstinventar, langfristige Waldökosystemforschung, kantonale Dauerbeobachtung des IAP) gewidmet, sondern präsentierte ausgewählte Projekte mit langem Horizont.
Fünf Beispiele
Nach dem Lawinenwinter 1951 stellte man sich die Frage, wie an der Waldgrenze Schutzwald aufwachsen kann. Am Stillberg bei Davos (GR) legte man eine Hochlagenaufforstung mit den Baumarten Arve, Bergföhre und Lärche an. Das Experiment lieferte wertvolle Erkenntnisse, etwa zur Rottenaufforstung in Gebirgswäldern. Später erwies sich die Versuchsanordnung als ideal für Experimente zum Klimawandel (CO2-, Erwärmungs- und Düngungsexperimente).
Eine andere extreme Situation präsentiert sich im Pfynwald im Wallis. Der Ausgangspunkt dort war das Föhrensterben in den 1990er-Jahren. Weil Trockenheit als massgebliche Ursache vermutet wurde, startete 2003 ein Langzeit-Bewässerungsexperiment. Jüngst wurde dieses ergänzt mit experimentellen Einrichtungen, um auch die Effekte der Lufttrockenheit (Dampfdruckdefizit) erforschen zu können.
Das Ziel des SwissFluxNet ist derweil die Messung des Treibhausgasaustausches in Ökosystemen. Von den sechs Messtürmen in der Schweiz befindet sich je einer im Wald in Davos und an der Lägern. Aufgrund der Messungen der letzten 20 Jahre lassen sich Aussagen machen über die Sequestrierung von Kohlenstoff in diesen Wäldern sowie mögliche Entwicklungen.
Die wachstumskundlichen Experimentierflächen wiederum sind vor über 100 Jahren angelegt worden. Daraus gingen die ersten Ertragstafeln für die Vorrats- und Zuwachsentwicklung von Fichten und Buchen hervor. Aufgrund seiner Plenterstruktur ist der Toppwald im Emmental (BE) heute ein idealer Wald für Untersuchungen in Zusammenhang mit dem Klimawandel. Je länger die Zeitreihen sind, desto wertvoller sind sie.
Das Swiss Crane Projekt setzt für Messungen in den Baumkronen zur Erforschung der grundlegenden Prozesse bei Trockenstress einen Kran ein. In Hölstein (BL) begannen die Messungen 2017. Nur ein Jahr später folgte der trockene und heisse Sommer 2018 mit den Folgeschäden 2019 – für die Forschenden eine glückliche Fügung. Manchmal erfolgt der Erkenntnisgewinn langsam und kontinuierlich, dann wiederum in Sprüngen.
Forschung und Praxis im Gespräch
Das Gespräch mit Michiel Fehr von der Dienstelle für Landwirtschaft und Wald des Kantons Luzern und Arthur Gessler von der WSL drehte sich um die Frage, ob diese Projekte auch für die Praxis nützlich sind. Michiel Fehr bejahte dies. Oft sei aber auch Wichtiges erkannt worden, ohne dass man dabei an die Praxis gedacht habe. Angesprochen auf die Defizite erwähnte er die CO2-Speicherung im Kontext der Waldbewirtschaftung. Hier würden sachliche Grundlagen benötigt, genauso wie Informationen zu den Auswirkungen der Wildhuftierbestände auf die Waldentwicklung. Für Arthur Gessler besteht die Herausforderung darin, dass sich die Forschung bei den Versuchen statistisch auswertbare Daten wünsche, man deswegen aber oft weit weg von der Praxis sei. Genügten die Experimente aber strengen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht, könne es Problem mit der Finanzierung geben. Die Realisierung von langfristigen Forschungsprojekten mit Nutzen für die Praxis bleibt eine Herausforderung.
Lukas Denzler
Schweiz Z Forstwesen 175 (6): 319