- Notizen
Sind die Waldböden in der Schweiz nach dem Winterhalbjahr vollständig befeuchtet?
26.02.2025
Notiz
In vielen Waldgebieten der Schweiz und Europas führt der Klimawandel zu erhöhter Verdunstung und Bodenaustrocknung in der warmen Jahreszeit, was die Waldgesundheit beeinträchtigt. Aber auch die kalte Jahreszeit könnte für den Wasserhaushalt der Wälder entscheidend sein. Wenn Waldböden im Winter nicht mehr vollständig mit Wasser aufgefüllt werden, kann dies die Wasserversorgung und die Vitalität der Bäume in der folgenden Vegetationsperiode beeinträchtigen. Basierend auf Messwerten zeigen wir in diesem Beitrag, in welchen Regionen der Schweiz die Böden im Winterhalbjahr nur unzureichend befeuchtet werden, was eine Hypothek für die Vegetationsperiode darstellt.
* Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf, E-Mail: lorenz.walthert@wsl.ch
Serbelnde Kronen von Laubbäumen und zunehmende Ausfälle bei Nadelbäumen durch Borkenkäferbefall in tieferen Lagen der Schweiz und Europas (Schuldt et al 2020) deuten auf eine Schwächung der Bäume hin, die unter anderem durch Veränderungen des Wasserhaushalts von Waldökosystemen als Folge des Klimawandels verursacht wird. Höhere Temperaturen führen zu grösserer Transpiration und daher auch zu einer stärkeren Bodenaustrocknung an vielen Waldstandorten. In der Forstpraxis taucht vermehrt die Frage auf, ob die Waldböden im Winter noch vollständig mit Wasser aufgefüllt werden. Es wird befürchtet, dass eine unvollständige Befüllung im Frühjahr negative Auswirkungen auf den Wachstumsstart der Bäume hat und im Sommer deren Trockenstress verstärkt. In diesem Beitrag klären wir die Frage zum Speicherfüllungsgrad im Frühjahr unter den heutigen Klimabedingungen und werfen auch einen Blick in die Zukunft.
Wasserflüsse im Wald und Bodenwasserspeicherung
Der Wasserhaushalt von Waldökosystemen umfasst die vier Hauptkomponenten Niederschlag, Verdunstung (Interzeption, Evaporation und Transpiration), Speicherung und Tiefensickerung (Abbildung 1). Niederschläge gelangen direkt, als Stammabfluss oder als Kronentraufe, auf den Waldboden. Ein Teil des Niederschlags, der sogenannte Interzeptionsverlust, erreicht den Boden nicht, weil er bereits auf der Vegetationsoberfläche verdunstet. Eine bisher meist vernachlässigte Verdunstungskomponente kommt durch die Streuschicht auf dem Waldboden zustande. Studien in europäischen Wäldern zeigen, dass in dieser nicht durchwurzelten Schicht bis zu rund 20% des Jahresniederschlags verdunsten (Floriancic et al 2023). Aufgrund der insgesamt grossen Verdunstung von ca. 20% Interzeption und ca. 20% Evaporation aus der Streuschicht gelangt nur ein stark verminderter Teil des Niederschlags in den Wurzelraum der Bäume – in normal bestockten Wäldern des Mittellandes dürften es nur rund 60% des Jahresniederschlags sein (Floriancic et al 2023). Wie viel des Wassers, das in den Wurzelraum der Bäume einsickert, von den Bäumen genutzt wird, hängt in hohem Mass vom Speichervermögen des Bodens an pflanzenverfügbarem Wasser ab. Demnach haben Bäume im trockenen Sommer 2018 auf Böden mit grossem Wasserspeichervermögen und guter Wasserverfügbarkeit deutlich weniger stark unter Trockenstress gelitten als Bäume auf schlechteren Böden (Walthert et al 2021; Meusburger et al 2022). Die Bodenwasserreserven können Trockenstress bei Bäumen allerdings nur dann wirkungsvoll mildern, wenn das Reservoir vor der Trockenperiode ausreichend gefüllt ist.
Bestimmung von Bodenwasserspeichervermögen und Speicherfüllungsgrad
Das Wasserspeichervermögen eines Bodens hängt von vielen Faktoren ab, wie von der Mächtigkeit des durchwurzelbaren Bodens, vom Skelettgehalt und von den Eigenschaften der Feinerde (Korngrösse < 2mm), also der Dichte, der Korngrössenzusammensetzung (Anteile an Ton, Silt und Sand) und dem Humusgehalt. Allzu dichte und anaerobe Bodenschichten können von den meisten Baumarten nicht durchwurzelt werden, und Steine vermindern das Wasserspeichervermögen des Bodens. Dichte, Körnung und Humusgehalt bestimmen den Porenraum und damit das Wasserspeichervermögen der Feinerde. In der Regel interessiert man sich für das pflanzenverfügbare Bodenwasser, also für jenes Wasser, das in den Poren mit mittlerem Durchmesser bei einem Wasserpotenzial (Saugspannung) zwischen ca. –10 und –1500 kPa vorhanden ist. Dabei ist das Wasserpotenzial ein Mass für die Arbeit, welche die Pflanze verrichten muss, um dem Boden Wasser zu entziehen. Das leicht gebundene Sickerwasser in den Grobporen (> ca. –10 kPa) und das stark gebundene Totwasser in den Feinporen (< ca. –1500 kPa) gelten als nicht pflanzenverfügbar. Die maximale Wassermenge, die in den Mittelporen eines Bodens gespeichert werden kann, entspricht der nutzbaren Feldkapazität (nFK). Sind alle Mittelporen und alle Feinporen gefüllt, bezeichnet man dies als Feldkapazität (FK). Sowohl FK als auch nFK können mit Modellen aus Dichte, Körnung und Humusgehalt geschätzt werden, abzüglich dem Volumen, das die Steine im Boden einnehmen. Die nFK ist umso grösser, je mächtiger der Wurzelraum ist, je weniger Steine er enthält und je mehr Wasser die Feinerde in den Mittelporen speichern kann. Am meisten pflanzenverfügbares Wasser vermag Feinerde zu speichern, die ausgewogene Anteile an Sand, Silt und Ton aufweist und zudem Humus enthält. Zu viel Sand oder Ton ist dagegen ungünstig.
Der Speicherfüllungsgrad des Bodens kann im Feld mit Tensiometern oder Wasserpotenzialsensoren bestimmt werden. Bei rund –10 kPa (entspricht –100 hPa oder 100 cm Wassersäule) ist der Boden um den Sensor herum vollständig befeuchtet, der Bodenwassergehalt liegt dann bei Feldkapazität. Sind alle Schichten des Bodens bei Feldkapazität, also bei rund –10 kPa, ist der Bodenspeicher gefüllt. Sind sie trockener als bei Feldkapazität, lässt sich die bis Feldkapazität fehlende Wassermenge berechnen. Hierfür muss man das Wasserretentionsverhalten der einzelnen Bodenschichten kennen, den Zusammenhang zwischen Wasserpotenzial und -gehalt.
Heutiger Speicherfüllungsgrad im Frühjahr an Waldstandorten der Schweiz
Abbildung 2 zeigt den Speicherfüllungsgrad des Bodens an 55 Waldstandorten der Schweiz in der Zeitperiode 2013 bis 2023 jeweils Ende April. Auf der Karte sind die LWF-Monitoringflächen mit 16 Standorten vertreten, die anderen 39 Standorte stammen von einem Projekt , das die Bodenwasserverfügbarkeit in Wäldern der Schweiz auf starken Umweltgradienten untersucht (CH-Gradient). Seit 2013 (CH-Gradient) bzw. 2019 (LWF) erfassen diese beiden Projekte das Wasserpotenzial (Saugspannung) in verschiedenen Bodentiefen mit modernen Sensoren (dielektrischer MPS2-Sensor und Tensiomark-Wärmepuls-Sensor) in stündlicher Auflösung. An 10 Standorten wird bis zu maximal 200 cm Tiefe gemessen, an 17 Standorten bis 150 cm Tiefe und an 10 Standorten weniger tief als 80 cm wegen Felsuntergrund. In den verbleibenden 18 Böden sind Sensoren bis maximal 80 cm Tiefe vorhanden, obwohl die Wurzeln tiefer reichen. Die 55 Standorte beinhalten 14 Föhrenwälder, 10 Nadelmischwälder, 10 Laubmischwälder, 9 Buchenwälder, 5 Eichenwälder, 4 Fichtenwälder und 3 Mischwälder, verteilt über alle Klimaregionen der Schweiz. Die Höhenlage der Standorte variiert zwischen 500 und 1950 m ü.M. und die jährliche Niederschlagsmenge zwischen rund 600 und 2000 mm. Mit rund 50 bis 400 mm pflanzenverfügbarem Wasser ist das Speichervermögen der Böden sehr unterschiedlich.
Von 2013 bis 2023 waren die untersuchten Waldböden auf der Alpennordseite, im Oberengadin und auf der Alpensüdseite per Ende April stets bei Feldkapazität und damit voll befeuchtet (Abbildung 2, Abbildung 3a). Im Churer Becken, in Mittelbünden und im Unterengadin waren die Böden ebenfalls in jedem Frühjahr vollständig befeuchtet, ausser im Jahr 2017. Gemäss Klimabulletin von MeteoSchweiz war der Winter 2016/2017 extrem trocken, in Berglagen sehr sonnig und phasenweise auch aussergewöhnlich mild.1 Diese Wintertrockenheit führte in Kombination mit einem Fortschreiten der Transpiration der Nadelbäume während des Winters an einigen Untersuchungsstandorten Graubündens bis in Höhenlagen von 1200 m ü.M. zu einer unvollständigen Wiederbefeuchtung des Bodens. Die Böden im Zentralwallis zeigten im Frühjahr jeweils den geringsten Füllungsgrad aller 55 untersuchten Standorte, wobei die Mehrzahl der Böden im Wallis nur im Frühjahr 2017 und 2022 einen Wassergehalt unterhalb der Feldkapazität hatten. Fünf Böden aus dem Zentralwallis zeigten jedoch in nahezu jedem Frühjahr einen geringen Füllungsgrad. Bemerkenswerterweise handelt es sich dabei um die vermeintlich «besten» Böden mit einem sehr grossen Wasserspeichervermögen. Von der unvollständigen Speicherfüllung waren im Wallis alle Standorte unterhalb von 1100 m ü.M. betroffen, unabhängig von Baumartenmischung und Exposition.
Waldböden, die in der Vegetationszeit stark austrockneten, wurden von den Sommerniederschlägen nur oberflächlich benetzt, wie das Beispiel eines Bodens im Zentralwallis zeigt (Abbildung 3b). Niederschlagswasser sickerte dort im Sommer selten oder gar nie tiefer als 20 cm in den Boden ein. An solchen Standorten verdunstet im Sommer ein grosser Teil des Niederschlags auf den Blättern der Pflanzen und in der Streuschicht und erreicht daher den Wurzelraum nicht. Erst die Niederschläge im Spätherbst und im Winter füllen den Bodenwasserspeicher mindestens teilweise wieder auf. Die gespeicherten Winterniederschläge stellen somit einen bedeutenden Teil des Wassers bereit, das in der Vegetationsperiode des folgenden Jahres von den Bäumen genutzt wird – insbesondere in niederschlagsarmen Phasen, wenn der Oberboden ausgetrocknet ist und die Bäume auf tieferes Bodenwasser zurückgreifen müssen (Meusburger et al 2022; Walthert et al 2024).

Als Konsequenz für die Praxis sollte in sehr trockenen Regionen wie dem Zentralwallis bei der Bewertung der Standortgüte zusätzlich zum Wasserspeichervermögen des Bodens auch die unvollständige Speicherfüllung im Frühjahr berücksichtigt werden. Das Speicherfüllungsdefizit bis 2 m Bodentiefe kann dort im Frühjahr beträchtlich sein und bis zu 150 mm betragen, was ungefähr der lokalen Sommerniederschlagsmenge entspricht.
Mögliche Auswirkungen eines abnehmenden Speicherfüllungsgrades
Mit weiter zunehmender Klimaerwärmung werden die Pflanzen versuchen, dem Boden mehr Wasser zu entziehen, was zu einer stärkeren und tiefgründigeren Bodenaustrocknung während der Vegetationszeit führt. Falls die Winterniederschläge künftig ähnlich bleiben, werden sie den Bodenwasserspeicher an zahlreichen Standorten weniger tiefgründig befüllen. Die Wälder werden an solchen Standorten mit immer geringeren Bodenwasserreserven in die Vegetationsperiode starten, was wiederum zu einer stärkeren Bodenaustrocknung und bei empfindlichen Baumarten vermehrt zu Trockenstress und Mortalität führen wird. Trockenheitsresistentere Baum- und Straucharten oder sogar Felsensteppen werden sich dort durchsetzen, was einer Veränderung des Standortstyps gleichkommt. An zahlreichen Waldstandorten der Schweiz ist der Wechsel von empfindlicheren zu resistenteren Arten bereits seit einigen Jahren im Gange. So zeigt heute beispielsweise die Buche vor allem auf flachgründigen Böden Stresssymptome und Mortalität (Walthert et al 2021). In Zukunft dürfte die Buche vermehrt auch auf besseren Böden an Wassermangel leiden und daher ausfallen, nicht zuletzt, weil bei fortschreitender Erwärmung der Speicherfüllungsgrad vieler Böden im Frühjahr abnehmen wird (Abbildung 4).
Abschliessend wollen wir noch kurz auf Waldstandorte fokussieren, deren Böden ein sehr geringes Wasserspeichervermögen haben und daher periodisch stark austrocknen, sodass dort bereits heute ausschliesslich trockenheitsresistente Baumarten wie Eichen oder Linden vorkommen (Abbildung 5).

An solchen Standorten sind die aktuellen Winterniederschläge deutlich grösser als das Wasserspeichervermögen im Wurzelraum der Bäume, sodass ein grosser Teil des Winterwassers in den Untergrund versickert. Solche Standorte dürften auch künftig mit der maximal möglichen, aber geringen Wasserreserve in die Vegetationszeit starten. Im Sommer wird die Trockenheit voraussichtlich auch hier zunehmen. Es ist ungewiss, wie gut die trockenheitsresistenten Baumarten die zunehmende Trockenheit auf diesen Extremstandorten ertragen werden.
Literatur
Potential for significant precipitation cycling by forest-floor litter and deadwood. Ecohydrology 16 (2): e2493.https://doi.org/10.1002/eco.2493
Soil-plant interactions modulated water availability of Swiss forests during the 2015 and 2018 droughts. Global Change Biol 28: 5928–5944.https://doi.org/10.1111/gcb.16332
A first assessment of the impact of the extreme 2018 summer drought on Central European forests. Basic Appl Ecol 45: 86–103.https://doi.org/10.1016/j.baae.2020.04.003
Coordination between degree of isohydricity and depth of root water uptake in temperate tree species. Sci Total Environ 946: 174346.https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2024.174346
From the comfort zone to crown dieback: Sequence of physiological stress thresholds in mature European beech trees across progressive drought. Sci Total Environ 753: 141792.https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2020.141792