• Aktuell

Hilfreiche Vorboten für die Alpennordseite

Die Praxistagung der Arbeitsgruppe Waldbiodiversität des Schweizerischen Forstvereins suchte nach Veränderungen in Tessiner Wäldern, die als Vorboten für die Alpennordseite hilfreich sein können.

16.12.2024

Biodiversität und alte Kulturformen: angeregte Diskussionen in der Eichenselve bei Ur Bar
Biodiversität und alte Kulturformen: angeregte Diskussionen in der Eichenselve bei Ur Bar

AG Waldbiodiversität · GT Biodiversité en forêt

Die Arbeitsgruppe Waldbiodiversität widmete sich im vergangenen Jahr dem Thema «Wald im Wandel – Biodiversität im Wandel?!». Es prägte die Fachtagung im Mai und wurde nun an der Praxistagung im Tessin am 23. und 24. Oktober vertieft. Rund 45 Teilnehmende besuchten mit Tessiner Fachleuten zahlreiche Objekte, die die Herausforderungen und Besonderheiten der Südschweiz eindrücklich illustrierten.

Im Auengebiet von nationaler Bedeutung, Boschetti di Sementina, wird zur Verbesserung des Hochwasserschutzes eine sehr aufwendige und grossflächige Revitalisierung vorgenommen und gleichzeitig eine Wildtierbrücke erstellt. Das Projekt kann zu wertvollen Veränderungen für die Biodiversität führen. Doch wie wird der Auenwald darauf reagieren? Dessen Baumschicht besteht aus Esche, Robinie und Götterbaum, in der Verjüngung finden sich derzeit ausschliesslich Neophyten. Anhand der Grannenhirse in der Krautschicht wurde aufgezeigt, wie eine über lange Zeit unauffällige einheimische Pflanze unter sich verändernden Klimabedingungen eine flächendeckende Dominanz im Wald erreichen kann.

Ein Dickicht aus chinesischen Hanfpalmen

Ein Extrembeispiel für die Veränderungen in Bezug auf invasive Neophyten ist der Auenwald bei Tegna. Die Besuchenden wähnen sich im Dickicht aus chinesischen Hanfpalmen, die sich als einzige verjüngen, wie in einem Urwald in Asien. Beim Umgang mit invasiven Neophyten hat der Kanton Tessin eine strategische Vorgehensweise, die in einem Merkblatt für die Praxis publiziert wurde. Bei begrenzten Ressourcen sind starke Priorisierungen mit gezielten Eingriffen gefordert.

Im Tessin wird wenig Holz genutzt, und es gibt viele unbewirtschaftete Wälder. Das vielbegangene Waldreservat des Bosco di Maia ist stark von Störungen beeinflusst und erfüllt daher auch eine wichtige didaktische Funktion zur Sensibilisierung der Bevölkerung. Fragen wie «Es gibt so viele tote Bäume, stirbt der Wald?» stehen im Zentrum. Der Umgang mit Totholz als Risikofaktor im Erholungswald ist dort erfrischend unkompliziert.

Störungen wie Brände werden häufiger und können einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt der Naturverjüngung haben.

In den Vorträgen der WSL wurde deutlich, dass Störungen wie Brände häufiger werden und einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt der Naturverjüngung haben können. Ein genügend grosses Äsungsangebot reduziert den Wildverbiss. Zudem können mit den neuen Standortbedingungen Arten erscheinen, die lange in der Samenbank im Boden geschlummert haben. Die positive Wirkung auf die Artenvielfalt wird auch bei den Insekten deutlich.

Welchen Platz wird die Biodiversitätsförderung neben all den anderen Herausforderungen einnehmen?

Oberhalb von Taverne-Torricella zeigte die lokale Försterin die Eichenselve von Ur Bar, einem der wenigen Orte, an dem alle vier in der Schweiz natürlich vorkommenden Eichenarten nebeneinander anzutreffen sind. In kleinen Gruppen wurde das Potenzial solcher Standorte für anspruchsvolle Totholzkäfer, Gefässpflanzen und Fledermäuse besprochen. Alle Beiträge lösten rege Diskussionen aus: Schaden einzelne Eingriffe mehr als sie nützen? Welche Artengruppen soll man bei solchen Projekten dokumentieren? Wie unterhält man eine so grosse Offenfläche, die zunehmend vom Adlerfarn überwachsen wird? Ist der Aufwand aus Biodiversitätssicht gerechtfertigt?

Neben den vielen Diskussionen blieben den Teilnehmenden eindrückliche Bilder im Kopf. Und die Frage: Welchen Platz wird die Biodiversitätsförderung neben all den anderen Herausforderungen einnehmen?

Florian Walter, Josephine Cueni, Martin Gossner

Merkblatt für die Praxis

Ufficio della selvicoltura e degli organismi pericolosi, Kanton Tessin (2023): Umgang mit invasiven Neophyten zur langfristigen Erhaltung von Waldfunktionen. Merkblatt für die Praxis Version 1.0. bit.ly/Merkblatt_Praxis_Neophyten_Wald_Tessin

Anzeige