- Aktuell
Wenn harte Meinungen weich werden
01.11.2024
Editorial
Das Fachseminar an der Jahresversammlung des Schweizerischen Forstvereins im August in Stans (NW) ging ans Eingemachte: Das Podiumsgespräch zur Produktion von erneuerbarer Energie im Wald präsentierte fachliche Grundlagen, weckte aber auch Emotionen, wie der Bericht auf Seite 326 zeigt. Als Beobachter notierte ich mir ein paar Mal «Not in my backyard», also: nicht in meinem Hinterhof. Will heissen: Netto-Null und Energiewende ja, aber nicht auf Kosten von Waldschutz und Biodiversität. Windenergieanlagen im Wald wohl schon, aber sicher nicht in meinem Wald. Klimaschutz immer, aber nicht auf meinem Boden. Nach der lauten Inszenierung am Fachseminar war in anschliessenden Gesprächen durchaus zu beobachten, dass harte Positionen aufgeweicht wurden und Kontrahentinnen und Kontrahenten aufeinander zugingen wie nie zuvor.
Dass Verhandlungen, Kompromisse und deren Umsetzung zwar Zeit brauchen, aber zu guten Resultaten führen können, zeigte eine Exkursion im Rahmen der Jahresversammlung am Freitag. 10 Millionen Franken seien im Gerinne des Ribibachs und in den Folgegewässern in den vergangenen 90 Jahren verbaut worden, erläuterte Markus Klauser, Abteilungsleiter Naturgefahren beim Kanton Nidwalden. Das Resultat sind Bachverbauungen, Rückhaltebecken, Wiederaufforstungen und sogar Abflussmöglichkeiten über die Autobahn A2 im Ereignisfall. Ganz unten im Talboden schützt ein Damm als letztes Element die Neubausiedlungen. Schutzbau und geschütztes Zuhause stehen sich dort direkt gegenüber. Die Geschützten sehen also, wofür sie bezahlt haben und wie wertvoll das während eines starken Unwetterereignisses für sie sein könnte.
Bei solch komplexen Themen sind Fach- und Erfahrungswissen wichtig. Es gehören aber auch Emotionen und unterschiedliche Wertvorstellungen und Lebensgeschichten dazu. Im Wald erst recht. Was ich vom Fachseminar mitgenommen habe: Wenn man aus seinem Küchenfenster einen Schutzdamm sieht, hat man dessen Notwendigkeit täglich vor Augen. Auch das kann harte Meinungen aufweichen – und dazu führen, dass man sich in seinem Hinterhof doch einiges vorstellen kann.